Wie ihr bestimmt schon mitgekriegt habt, bin ich gerade in Hongkong im Auslandssemester. Da dieses nun schon bald zu Ende geht, komme ich nicht drum herum, meine Erfahrungen hier bisher mit meinem ersten Auslandssemester in Mexico (vor 2 Jahren während des Bachelorstudiums) zu vergleichen. Gerade wenn ich so die anderen Austauschstudenten hier beobachte, die gerade erst mit dem Studium begonnen haben und für die es zum Teil die erste längere Auslandserfahrung ist, stelle ich fest: Ein bisschen etwas hat sich schon geändert zwischen meinen Prioritäten und Erwartungen in meinem ersten Auslandssemester im Vergleich zu meinem zweiten.
FOMO (Fear of missing out)
Etwas, das vielleicht auch unserer Generation zuzuschreiben ist, ist mir vor allem am Anfang des Semesters aufgefallen: Die unglaubliche FOMO (*fear of missing out), also die Angst etwas zu verpassen, der meisten Austauschstudenten. Keine Party wurde ausgelassen, und natürlich konnte man auch nicht früher als der letzte Betrunkene wieder nach Hause gehen – es könnte ja genau um halb 5 Uhr früh im McDonalds noch DAS Highlight des Jahres passieren, von dem man später noch seinen Urenkeln erzählen würde. Tat es natürlich nicht. (Das tut es selten). Und genau deshalb bin ich froh, dass ich diese FOMO in meinem zweiten Auslandssemester sehr viel seltener erlebt habe. Versteht mich nicht falsch, natürlich ist es wichtig, gerade am Anfang Kontakte zu knüpfen und nicht den Anschluss zu verlieren. Und so ein Semester ist schneller rum als man denkt – da ist es natürlich von Vorteil, von Beginn an so viel wie möglich zu entdecken. Aber man muss nicht um jeden Preis alles mitmachen, was von anderen Austauschstudenten vorgeschlagen wird, selbst wenn man eigentlich lieber einmal früh ins Bett gehen würde statt den 7. Tag der Woche feiern zu gehen. Das habe ich allerdings auch erst in meinem zweiten Auslandsemester kapiert.
International vs. Local Culture
An meiner Uni in Hongkong gibt es dieses Semester knapp 300 Austauschstudenten aus aller Welt. Und da diese fast alle im Studentenwohnheim wohnen, ist es auch sehr einfach, sich mit vielen davon anzufreunden. Klar ist es toll, Freunde aus aller Welt zu finden. Leider aber ist mir aufgefallen, dass viele Austauschstudenten bald ihre Gruppe aus Leuten ähnlicher Herkunft gefunden haben. Vor allem Deutsche und Franzosen scheinen das Talent zu haben, überall andere Deutsche und Franzosen zu finden und sich zu unbesiegbaren, deutsch/französisch-sprechenden Gruppen zusammenzuschließen. Das erschwert natürlich die Kontaktaufnahme mit den Locals. (Vor allem mit Chinesen, die ohnehin schon eher zurückhaltend sind und schon von einem Austauschstudenten alleine gerne eingeschüchtert sind.)
Uni, wie uncool
Schon verstanden, Vorlesungen sollten nicht die Priorität sein im Auslandssemester. Das waren sie bei mir auch nie, weder in Mexico noch in Hongkong. In Hongkong allerdings habe ich gelernt, dass Vorlesungen nicht nur eine lästige Pflicht sind, die einem vom Herumreisen abhalten, sondern dass man an der Uni im Ausland auch tatsächlich etwas lernen kann. Nämlich vor allem im Hinblick auf die kulturellen Unterschiede. Daher finde ich es ein bisschen traurig, wenn ich andere Austauschstudenten dabei sehe, wie sie ihre kostbare Zeit verschwenden, indem sie die ganze Stunde an ihrem Laptop hängen und sich mit Facebook beschäftigen, anstatt sich aktiv mit den Hongkongern, Mainland Chinesen und anderen Austauschstudenten an der Vorlesung zu beteiligen. Denn ob man will oder nicht – um die Anwesenheitspflicht kommt man kaum herum. Und dann kann man die Zeit auch gleich sinnvoll dafür nutzen, mehr über das Denken und Handeln in anderen Kulturen zu lernen.
First, let me take a Selfie
Ob der Besuch der Rooftop-Bar, das traditionelle Dim Sum Essen oder der lustige Straßenhändler an der Ecke – alles muss auf Fotos festgehalten werden. Je mehr Austauschstudenten aufs Selfie passen, umso besser. Schließlich will man ja zu Hause etwas vorzuzeigen haben. Wobei, das ist eh kaum mehr notwendig – Familie und Freunde kennen längst jedes einzelne Bild von Facebook und Instagram. Natürlich inklusiver Hashtags wie #timeofmylife und #exchangelife. Ein wenig spricht hier auch der Neid mit: Im Nachhinein hätte ich auch gerne so viele tolle Bilder als Erinnerung an meine Zeit hier in Hongkong. Während des Semesters aber war ich viel mehr damit beschäftigt, die Zeit und Ausflüge zu genießen. Habe ich in meinem ersten Semester in Mexico jede noch so winzige Kleinigkeit fotografiert, da mir das „zu Hause ja sonst niemand glauben würde“, stand für mich in meinem zweiten Semester viel eher das Erleben im Vordergrund. Eine gesunde Mischung aus den beiden Extremen wäre hier wohl ideal.
Natürlich kann und will ich diese Verhalten nicht verallgemeinern und von „allen Austauschstudenten, die ihr erstes Auslandssemester machen“ sprechen. Trotzdem konnte ich viele der oben genannten Verhaltensmustern, die ich übrigens in meinem ersten Semester in Mexico genauso zeigte, bei einigen von ihnen beobachten. An dieser Stelle möchte ich auch noch erwähnen, dass es sich dabei um keinerlei Wertung handelt, von wegen das eine sei besser als das andere. Es sind lediglich verschiedene Zugänge, wie man seine Prioritäten im Auslandssemester setzt und sein kurzes, kostbares Semester gestaltet. Im Endeffekt bin ich mir sicher, dass wir alle die Zeit unseres Lebens hier in Hongkong hatten. Denn eines ist ein Auslandssemester auf jeden Fall: Ein unvergessliches und äußerst prägendes Erlebnis!